Korfu und die goldene Frucht: Wie die Kumquat die Insel prägt
Ein Urlaub auf Korfu, Sonne, Meer, vielleicht ein Besuch in der alten Festung von Kerkyra. Doch wer genauer hinsieht, entdeckt zwischen Olivenhainen und Pinien plötzlich eine Frucht. Klein, orangefarben, oval – und allgegenwärtig: Kumquat.
Man findet sie auf Marmeladengläsern in Souvenir-Läden, in klaren Flaschen mit goldenem Likör oder kandiert auf einem Löffel gereicht. Die Kumquat ist längst ein fester Bestandteil der Kultur und Wirtschaft Korfus geworden.
Ein Korfiote aus Asien
Dabei stammt die Kumquat ursprünglich aus Asien. In China wird sie seit Jahrhunderten kultiviert, in Gärten gepflegt und zu besonderen Anlässen verschenkt. Ihr Name kommt aus dem Kantonesischen „Gam Gwat“, was so viel wie „Goldene Orange“ bedeutet – ein Symbol für Glück, Gesundheit und Wohlstand. Anders als viele andere Zitrusfrüchte isst man Kumquats mit der Schale. Das Aroma ist intensiv, süßlich mit einer feinen, bitter-sauren Note – eine kleine Geschmacksexplosion. In ihrer Heimat gilt die Frucht als Heilmittel, Zierde und Delikatesse zugleich.
Eine Zitrusfrucht mit einer langen Reise
Nach Europa kam die Kumquat Mitte des 19. Jahrhunderts, eingeführt durch den schottischen Botaniker Robert Fortune. Bekannt wurde er vor allem durch seine Rolle beim Schmuggel von Teepflanzen aus China nach Indien – eine Geschichte, die auch politische Sprengkraft hatte. Neben Teesetzlingen brachte Fortune 1846 auch erste Kumquat-Pflanzen nach Großbritannien. Seither trägt die Frucht in ihrer botanischen Bezeichnung seinen Namen: Fortunella. Zunächst wurde sie als exotische Rarität in Gewächshäusern gehalten, ehe sich ihr Potenzial als Nutzpflanze zeigte.
Auf Korfu allerdings beginnt die eigentliche Erfolgsgeschichte der Kumquat erst Jahrzehnte später. Der britisch-griechische Pflanzenliebhaber Sidney Louis Walter Merlin – ein Name, der heute vor allem bei Agrarhistorikern aufhorchen lässt – ließ in den 1920er Jahren erste Kumquat-Setzlinge auf sein Anwesen in Dassia bringen. Ob aus China oder Japan ist nicht genau belegt, doch Merlin erkannte sofort: Das milde, feuchte Mikroklima im Norden Korfus bot ideale Bedingungen für den Anbau. In der Ebene von Nymfes pflanzte er erste Bäume – und traf damit offenbar einen Nerv.
Eine kleine Frucht wird großer Wirtschaftsfaktor
Was als botanisches Experiment begann, wurde über die Jahrzehnte zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Heute wachsen die kleinen Kumquat-Bäumchen auf rund 50 Hektar Anbaufläche, fast ausschließlich im nördlichen Teil der Insel. Die Haupterntezeit liegt zwischen Januar und Februar, wenn sich die ovalen Früchte goldgelb färben. Jährlich werden auf Korfu etwa 140 Tonnen Kumquats produziert – ein beträchtlicher Teil davon wird direkt vor Ort verarbeitet.
Kumquat – der kleine Alleskönner
In kleinen Manufakturen entstehen daraus Spezialitäten, die längst über die Inselgrenzen hinaus bekannt sind: der süßliche Kumquat-Likör, traditionell serviert nach dem Essen; leuchtend orangefarbene Marmeladen mit leicht bitterem Aroma; kandierte Kumquats, die als „Löffelsüßigkeit“ Gästen gereicht werden. Manche Produzenten experimentieren sogar mit Parfüm aus den Blüten – ein aromatischer Gruß aus dem Mittelmeer. Seit 1994 trägt der Kumquat-Likör von Korfu das EU-Siegel für geschützte geografische Angaben, was seine besondere regionale Herkunft unterstreicht.
Eine Zuwanderungsgeschichte der besonderen Art
Dabei ist der Erfolg der Kumquat auf Korfu mehr als nur eine kulinarische Kuriosität. Die Frucht erzählt auch eine Geschichte von kulturellem Austausch, Migration von Pflanzen – und vom Einfluss einzelner Persönlichkeiten auf die Landwirtschaft einer ganzen Region. Für viele Korfioten ist die Kumquat heute mehr als nur ein Exportprodukt. Sie ist ein Symbol für die Insel selbst, ein Stück Identität mit asiatischem Ursprung und mediterranem Herz.
Wer also das nächste Mal durch die Straßen von Korfu-Stadt schlendert oder in einem kleinen Dorf im Norden ein Café betritt, sollte Ausschau halten nach einem Glas Kumquat-Likör oder einem Stück Kuchen mit kandierter Frucht. Denn hinter dem süßen Geschmack verbirgt sich eine Geschichte, die fast um die halbe Welt gereist ist – bis sie auf dieser griechischen Insel Wurzeln geschlagen hat.